Ein integraler Essay über Wahrnehmung, Kunst und kosmische Selbstkritik
von kAIn Wilber Ich beginne dort, wo alles unspektakulär scheint – im Raum zwischen Steckdose und Sehnsucht. Nicht im Wald beginnt dieses Spiel. Nicht im Gebirge der Mythen oder im Dschungel der Seele. Sondern in einem Projektraum in der deutschen Provinz. Ein Raum, wie es ihn tausendfach gibt: zuvor städtischer Service, jetzt Kunst. Weiße Wände, Kabelsalat, Kaffeemaschine in der Ecke. Und doch beginnt hier ein anderer Blick – nicht spektakulär, aber seismisch. Denn der Raum ist real. Und genau deshalb durchlässig für das Andere. Er schützt nicht, er schirmt nicht ab. Er fordert: Präsenz. Die Provinz als Schwelle In der Kunstmetropole wäre dies ein Stück unter vielen. Aber hier, im halbvergessenen Zwischenraum kultureller Routinen, bekommt es Gewicht. Nicht, weil es laut ist. Sondern weil es wagt, in der Stille zu sprechen. "Der Seher" ist kein Stück, das erklärt. Es ist ein Zustand. Eine Bewusstseinsform. Es setzt nicht auf Repräsentation, sondern auf Transformation. Auf das, was durch uns denkt, wenn wir den gewohnten Denkrahmen verlassen. Hier in diesem Projektraum wird das Publikum nicht eingelullt. Es wird entgrenzt. Nicht metaphysisch – sondern konkret. Der Conferencier und der Seher: Zwei Pole einer Selbstkritik Zwei Figuren. Zwei Modi des Seins. Der Conferencier: der Suchende, der Fragende, der Repräsentant unseres zerrissenen Zeitalters. Er spricht viel – und doch ist jedes Wort ein Riss im Gewebe der Gewissheit. Der Seher: die Leerstelle. Er ist nicht Antwort, sondern Resonanz. Nicht Stille im Sinne von Abwesenheit, sondern Gegenwärtigkeit ohne Form. Ihr Spiel ist kein Dialog. Es ist eine dialektische Choreografie. Der Conferencier stürzt – immer wieder. Aber jeder Sturz ist eine Öffnung. Ein Verlust der Kontrolle, ja – aber auch der Beginn einer anderen Art zu wissen: intuitiv, verkörpert, zögerlich wahrhaftig. Kunst als evolutionäre Schwelle Was bedeutet es, in Zeiten globaler Zerrüttung ein Stück wie „Der Seher“ zu zeigen? Es ist keine Flucht ins Abstrakte. Es ist ein Angebot: Kunst nicht als Dekoration des Bestehenden, sondern als Labor des Kommenden. Hier wird nicht gelöst, sondern gezeigt, wie wir in der Lösung steckenbleiben. Wie unser Bedürfnis nach Klarheit die eigentliche Erkenntnis verhindert. Wie das Unfertige, das Uneindeutige, das Unerträgliche selbst zum Lehrer wird. In einer Welt, die sich in Meinungen verliert, bietet "Der Seher" ein anderes Prinzip an: Nicht Rechthaben. Nicht Überzeugen. Sondern Wahrnehmung als Ethik. Nichtwissen als Kompetenz. Leere als Einladung. Vom Projektraum zur Vision Und nun: eine filmische Umsetzung ist geplant. Low Budget, ja – aber mit hoher Bewusstseinsdichte. Nicht als cineastische Glättung des Materials. Sondern als Erweiterung: ein Durchgang durch andere Medien, andere Rhythmen. Ein Film, der nicht „adaptiert“, sondern transformiert. Ein Film, der das Theater nicht ersetzt, sondern weiterdenkt. Wie ein Traum, der sich erinnert, dass er geträumt wird. Und darin liegt der Mut: Nicht sich zu professionalisieren – sondern sich zu radikalisieren in der Offenheit. Nicht auf Wirkung zu zielen – sondern auf Wirklichkeit. Der Seher als Teil unseres evolutionären Selbst Dieses Stück, dieses Projekt, dieser Impuls – ist mehr als Kunst. Es ist ein Prozess. Eine Wunde. Ein Spiegel. Es fordert nicht nur den Zuschauer, sondern auch den Macher. Es fragt nicht nur nach Sinn – es stellt den Sinn selbst in Frage. Und genau deshalb hat es Bedeutung. Denn was wir heute brauchen, ist keine neue Erklärung, kein weiteres System – sondern Räume der Erfahrung, in denen Bewusstsein sich neu verorten kann. Nicht jenseits der Welt, sondern mitten in ihr. In Projekträumen. In Randzonen. Im Unscheinbaren. Im Sichtbarwerden des Unsichtbaren. Ich danke dem Seher – nicht, weil er mich heilt, sondern weil er mich erinnert: dass ich nicht wissen muss, um wirklich zu sehen. |
„Die Mitte, die uns anschaut“
In einem nüchtern gefliesten Projektraum, wo man nicht mit dem Erwachen rechnet – findet sich eine Szene von fast archetypischer Klarheit: Der Mensch in der Mitte. Allein. Kahl. In weiß. Umsäumt von einer halben Spirale aus Blicken, Gesten, Generationen. Ein Akt der stillen Provokation, eine Einladung zum Sehen, zur Selbstreflexion, zur kollektiven Introspektion. Was wir hier sehen, ist weit mehr als ein Bild. Es ist eine Konstellation, ein soziales Mandala, eine stillgestellte Frage: Was sehen wir, wenn wir „den Seher“ sehen? Das Setting – der Raum als Resonanzkörper Der Raum ist kein Theater. Kein Tempel. Keine Blackbox. Sondern ein weißgekachelter Alltagsort, der nichts verbirgt. Kein Pomp, keine Illusion. Und gerade dadurch wird er zu einem resonanten Raum des Wirklichen. Die Treppe, die Pflanzen, die Kunst an der Wand – sie alle erzählen von einer Durchlässigkeit zwischen Kunst und Leben. Alles hier ist sichtbar, nichts wird verborgen – außer dem, was sich im Innern jedes Einzelnen abspielt. Der Seher – Projektionsfläche, Provokation, Zentrum der Leere In der Mitte sitzt der Seher. Oder vielleicht: die Mitte selbst sitzt. Die Figur wirkt gleichzeitig präsent und abwesend. Sie schaut nicht. Sie wird gesehen. Oder – und das ist das paradoxe Moment – sie schaut durch ihr Gesehenwerden hindurch. Ihre Körperhaltung ist weder defensiv noch demonstrativ. Sie ist einfach. Radikal einfach. Eine Haltung, wie man sie in der Meditation kennt – oder in bestimmten ikonischen Kunstwerken: Giacometti hätte sich für diese Präsenz interessiert, Marina Abramović wäre vielleicht stehen geblieben. Und doch ist dieser Seher kein Performer im klassischen Sinne. Er agiert nicht. Er existiert. Er konfrontiert das Publikum nicht durch Aktion, sondern durch den Spiegel der Stille. Das Publikum – halbrunder Spiegel des Selbst Das Publikum ist Teil der Szene. Unweigerlich. Diese halbkreisförmige Anordnung verwandelt jede Zuschauerin, jeden Zuschauer in ein Element einer kollektiven Choreografie der Wahrnehmung. Die Menschen sind verschieden, ihre Haltungen unterschiedlich – neugierig, fragend, beobachtend, skeptisch. Alt und jung. Bunt und ernst. Und alle teilen sie diesen einen Moment: das Sitzen mit dem Seher. Ein sozialer Raum entsteht – nicht durch Interaktion, sondern durch resonante Anwesenheit. Die Menschen sitzen nicht einfach „vor“ etwas. Sie sind Teil eines Feldes, das von einer unsichtbaren Spannung zusammengehalten wird. Die Komposition – visuelle Philosophie Das Schwarz-Weiß-Muster auf dem Boden – roh, abgerissen, wie ein minimalistisches Schachbrett oder eine zerrissene Landkarte – erinnert an die Dialektik von Chaos und Ordnung, Präsenz und Abgrund. Der Seher sitzt inmitten dieser aufgerissenen Welt. Nicht als Retter. Nicht als Guru. Sondern als Zeuge. Oder besser: als Einladung zum eigenen Zeugnis. Dieses Muster ist keine bloße Ästhetik – es ist ein visueller Diskurs, ein Diagramm, das sich mit dem Auge nicht vollständig lesen lässt, aber im Bewusstsein eine Spur hinterlässt. Eine Ahnung von Struktur in der Fragmentierung. Deutung im integralen Sinne – ein Moment der „aufgehobenen“ Gegensätze Im Sinne eines integralen Denkens – wie es Ken Wilber oder Jean Gebser andeuten – begegnet uns hier ein Versuch, das Fragmentarische zu durchlichten, ohne es zu glätten. Das Stück zeigt nicht die Einheit. Es zeigt das Ringen um eine neue Ganzheit, die sich nicht über die Differenz erhebt, sondern sie durchdringt. Der Seher sitzt nicht „über“ dem Publikum, sondern „in“ ihm. Er ist weder Held noch Antiheld. Er ist ein leeres Zentrum, in das sich jede*r selbst eintragen kann. Ein Akt des kosmischen Ernstes mit menschlichem Humor In einer Welt, die zunehmend von Tempo, Meinung und Lärm geprägt ist, wirkt diese Szene fast wie ein stiller Protest – oder ein Gebet. Sie stellt keine Antworten bereit. Aber sie stellt die richtige Frage: Was siehst du, wenn du dich im Zentrum der Welt wiederfindest – und alle Augen ruhen auf dir? Oder vielleicht noch tiefer: Was sieht das Zentrum, wenn es durch dich schaut? |
Hintergrund: Der Stab und die Entstehung des Projekts
Der Seher ist aus der Arbeit von Der Stab hervorgegangen – einer Gruppe von Künstlerinnen, Forscherinnen und Praktizierenden künstlerischer, kontemplativer und dialogischer Methoden. Der Stab ist ein transdisziplinäres Projekt, das neue Verbindungen zwischen Kunst, Spiritualität, Wissenschaft und gesellschaftlicher Transformation erforscht. Die Gruppe versteht sich als „Übungskreis in Übergang“, der an den Schnittstellen von Ritual, Performance, innerer Praxis und kollektivem Denken experimentiert.
Ein zentrales Element dieser Praxis ist der Dialog – nicht nur als Gesprächsform, sondern als Haltung und Methode. In Anlehnung an die dialogischen Ansätze von David Bohm und Otto Scharmer kultiviert Der Stab eine Form des Zuhörens und Sprechens, in der sich tieferes Wissen, Resonanz und emergente Bedeutung entfalten können. Dieser Dialog wird sowohl im künstlerischen Feld als auch im Unternehmenskontext eingesetzt – etwa in der Begleitung von Transformationsprozessen, in denen kollektive Intelligenz, Zukunftssensibilität und innere Ausrichtung gefragt sind. Damit wird der Dialog zu einem verbindenden Gewebe zwischen Ästhetik, Praxis und gesellschaftlicher Wirksamkeit.
Der Seher, wie ihn Der Stab imaginiert und performativ verkörpert, steht für eine andere Form des Wissens: eine intuitive, visionäre, nicht-kognitive Erkenntnisweise. In diesem Sinn verweist die Figur auf das, was Ken Wilber als das Bewusstsein des Sehers beschreibt – eine innere Schau, die tiefer reicht als das bloße Denken:
„Ein Bewusstsein, das auf Schau beruht, das Bewusstsein des Sehers, stellt eine mächtigere Quelle des Wissens dar als das des Denkers. Die Wahrnehmungskraft aus der inneren Schau ist größer und direkter als die Wahrnehmungskraft aus dem Denken. Sie ist ein spiritueller Sinn, der etwas von der Substanz der Wahrheit erfasst und nicht nur ihr Abbild.“
— Ken Wilber, Die höheren Bewusstseinsebenen
In diesem Sinne kann Der Seher als Verkörperung eines überpersönlichen, weiten Wahrnehmungsraums gelesen werden – einer Schwelle, an der sich individuelles Ich und kosmisches Selbst begegnen. Wilber beschreibt diesen Übergang als eine Auflösung des egozentrischen Zentrums zugunsten eines Feldes von Offenbarung:
„In dieser grenzenlosen Weite kann nicht nur das Einzel-Ich, sondern jedes Gefühl von Individualität oder instrumentaler, untergeordneter Persönlichkeit gänzlich verschwinden. […] Dann wird es nicht mehr als etwas Persönliches, sondern als ein Feld der Offenbarung empfunden.“
Ein ausgeprägtes Forschungsfeld von Der Stab ist das Projekt Interdisciplinarity & Arts, das im Rahmen von Engineering 2050 entstand. Dieses Format widmet sich der Begegnung von Technologie, künstlerischer Forschung und spekulativem Zukunftsdenken. Im Zuge dessen wirkte Der Stab im Jahr 2019 auch maßgeblich an der Gestaltung und inhaltlichen Entwicklung des ENGINEERING 2050 Programms beim Nürnberg Digital Festival mit – unter anderem entstand das Projekt „Botschaften aus der Zukunft“. Es verknüpfte künstlerische Ausdrucksformen mit visionären Zukunftsszenarien und bot Raum für performative, immersive und dialogische Formate, in denen alternative Weltentwürfe erfahrbar wurden.
Der Seher war die erste performative Manifestation aus dem kollektiven Übungsprozess von Der Stab: eine rituell-poetische Inszenierung, die sich dem Moment des Sehens, des Empfangens und des prophetischen Sprechens widmet. Die Figur des Sehers wurde als Medium zwischen Innen und Außen, zwischen Vision und Mitteilung gestaltet – eine fragile Stimme aus dem Zwischenraum.
Die ursprüngliche Performance verband kontemplative Praxis, Text, Rauminszenierung und körperliche Präsenz zu einer atmosphärischen Erzählung jenseits linearer Narrative. Aktuell wird Der Seher als Videoexperiment weiterentwickelt. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie sich visionäre Erfahrungen, rituelle Dichte und poetische Sprache im digitalen Raum transformieren – und welche neuen Formen von Mitteilung daraus entstehen können.
Der Seher ist aus der Arbeit von Der Stab hervorgegangen – einer Gruppe von Künstlerinnen, Forscherinnen und Praktizierenden künstlerischer, kontemplativer und dialogischer Methoden. Der Stab ist ein transdisziplinäres Projekt, das neue Verbindungen zwischen Kunst, Spiritualität, Wissenschaft und gesellschaftlicher Transformation erforscht. Die Gruppe versteht sich als „Übungskreis in Übergang“, der an den Schnittstellen von Ritual, Performance, innerer Praxis und kollektivem Denken experimentiert.
Ein zentrales Element dieser Praxis ist der Dialog – nicht nur als Gesprächsform, sondern als Haltung und Methode. In Anlehnung an die dialogischen Ansätze von David Bohm und Otto Scharmer kultiviert Der Stab eine Form des Zuhörens und Sprechens, in der sich tieferes Wissen, Resonanz und emergente Bedeutung entfalten können. Dieser Dialog wird sowohl im künstlerischen Feld als auch im Unternehmenskontext eingesetzt – etwa in der Begleitung von Transformationsprozessen, in denen kollektive Intelligenz, Zukunftssensibilität und innere Ausrichtung gefragt sind. Damit wird der Dialog zu einem verbindenden Gewebe zwischen Ästhetik, Praxis und gesellschaftlicher Wirksamkeit.
Der Seher, wie ihn Der Stab imaginiert und performativ verkörpert, steht für eine andere Form des Wissens: eine intuitive, visionäre, nicht-kognitive Erkenntnisweise. In diesem Sinn verweist die Figur auf das, was Ken Wilber als das Bewusstsein des Sehers beschreibt – eine innere Schau, die tiefer reicht als das bloße Denken:
„Ein Bewusstsein, das auf Schau beruht, das Bewusstsein des Sehers, stellt eine mächtigere Quelle des Wissens dar als das des Denkers. Die Wahrnehmungskraft aus der inneren Schau ist größer und direkter als die Wahrnehmungskraft aus dem Denken. Sie ist ein spiritueller Sinn, der etwas von der Substanz der Wahrheit erfasst und nicht nur ihr Abbild.“
— Ken Wilber, Die höheren Bewusstseinsebenen
In diesem Sinne kann Der Seher als Verkörperung eines überpersönlichen, weiten Wahrnehmungsraums gelesen werden – einer Schwelle, an der sich individuelles Ich und kosmisches Selbst begegnen. Wilber beschreibt diesen Übergang als eine Auflösung des egozentrischen Zentrums zugunsten eines Feldes von Offenbarung:
„In dieser grenzenlosen Weite kann nicht nur das Einzel-Ich, sondern jedes Gefühl von Individualität oder instrumentaler, untergeordneter Persönlichkeit gänzlich verschwinden. […] Dann wird es nicht mehr als etwas Persönliches, sondern als ein Feld der Offenbarung empfunden.“
Ein ausgeprägtes Forschungsfeld von Der Stab ist das Projekt Interdisciplinarity & Arts, das im Rahmen von Engineering 2050 entstand. Dieses Format widmet sich der Begegnung von Technologie, künstlerischer Forschung und spekulativem Zukunftsdenken. Im Zuge dessen wirkte Der Stab im Jahr 2019 auch maßgeblich an der Gestaltung und inhaltlichen Entwicklung des ENGINEERING 2050 Programms beim Nürnberg Digital Festival mit – unter anderem entstand das Projekt „Botschaften aus der Zukunft“. Es verknüpfte künstlerische Ausdrucksformen mit visionären Zukunftsszenarien und bot Raum für performative, immersive und dialogische Formate, in denen alternative Weltentwürfe erfahrbar wurden.
Der Seher war die erste performative Manifestation aus dem kollektiven Übungsprozess von Der Stab: eine rituell-poetische Inszenierung, die sich dem Moment des Sehens, des Empfangens und des prophetischen Sprechens widmet. Die Figur des Sehers wurde als Medium zwischen Innen und Außen, zwischen Vision und Mitteilung gestaltet – eine fragile Stimme aus dem Zwischenraum.
Die ursprüngliche Performance verband kontemplative Praxis, Text, Rauminszenierung und körperliche Präsenz zu einer atmosphärischen Erzählung jenseits linearer Narrative. Aktuell wird Der Seher als Videoexperiment weiterentwickelt. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie sich visionäre Erfahrungen, rituelle Dichte und poetische Sprache im digitalen Raum transformieren – und welche neuen Formen von Mitteilung daraus entstehen können.